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 Betreff des Beitrags: Das Land der bunten Seelen
BeitragVerfasst: Do 4. Aug 2005, 02:03 
Der Mathematiker hatte einen Freund, auf den er besonders stolz war. Sein Freund konnte wunderschöne grüne Zäune unter hellen orangefarbenen Sonnen malen. Außerdem malte er frohe kleine Tierchen, die so lebendig aussahen, dass sie sofort vom Blatt gelaufen sind, nachdem ihr Schöpfer seinen Pinsel von ihnen genommen hatte, so dass der Maler öfter vor dem leeren Blatt stand, und wenn seine meisterhaft zeichnende Hand nicht wäre, hätten alle gedacht, er könnte überhaupt nicht malen.
Doch der Mathematiker war tausendmal bei dem Wunder zugegen und wusste, warum das Blatt am Ende immer leer blieb.
Aber das beste Werk des Malers war eigentlich seine Seele. Sie war bunt wie ein Maikäfer, glänzend und schön wie ein Maikäfer, außerdem konnte sie wie ein Maikäfer fliegen. Es war die lustige und ausgelassene Seele eines jungen Fauns, der sich mit seinen Schwestern — den Elfen — inmitten des ewiggrünen Waldes des Elfenlandes amüsierte.
Wenn es etwas gab, weswegen der Mathematiker seinen Freund beneidete, waren es nicht die ausgelassenen, aus dem Blatt herausspringenden Häschen und Zicklein, sondern es war diese Seele, die jeden Augenblick ihre Farben wie ein Frühlingsregenbogen wechselte.
Er hat ihn mehrmals gefragt, woher der Maler sie hat, und ob er eine solche auch kaufen könnte, doch sein Freund schmunzelte nur und antwortete nicht.
Der Mathematiker war aber stur und außerdem hatte er keine andere Wahl. In letzter Zeit verursachten nämlich die langen Zahlenreihen ein unstillbares Zittern in ihm, doch war dies nicht ein Zittern der Freude, sondern der Müdigkeit, der Enttäuschung, des Verzweifelns. Ihm gefiel seine eigene Lebensweise nicht mehr, auch sein Fach nicht. Am Ende begann er, sich selbst nicht mehr zu gefallen. Er fand sein Leben grau, seine Seele einfarbig und deshalb träumte er davon, einen Teil der Weltbuntheit in sie hineinzufügen.
Aber seine Seele kannte nichts anderes außer genauen Berechnungen. Sie versuchte selbst Freundschaften zu berechnen: Wie viel sollte sie geben, wie viel nehmen und wie viel sollte es ihr auf Vorrat bleiben?
So wurde der Mathematiker mit der Zeit immer verzweifelter wegen des Unwillens seines Freundes, ihm zu helfen und das Geheimnis der bunten Seelen zu enthüllen.

Es vergingen viele Jahre, während derer er jedes Mal nur ein Lachen als Antwort auf seine Fragen bekam. Doch in letzter Zeit wurde das Gesicht des Malers immer nachdenklicher, während der Mathematiker ihn zum tausendsten Mal ausfragte. Und eines Tages hörte er auf zu lächeln. Seitdem ging er dazu über, die Fragen seines Freundes mit Schweigen zu beantworten.
„Gut“, sagte er dann noch einige Zeit später, „ich werde dir mein Geheimnis verraten. Einmal habe ich ein Bild gemalt. Es war so gut, dass niemand den Blick von ihm wenden wollte. Auch ich konnte nicht davon wegschauen. So gut waren seine Farben, so wunderbar zusammengestellt, so harmonisch ineinander fließend.
Das Bild drückte nichts aus, da es nur eine Farbspirale war, die am Rahmen anfing und in der Mitte des Bildes endete. Es wurde aber so gemalt, dass der Zuschauer unwillkürlich in dem bunten Strudel versank. Nach einigen Drehungen kam man wieder zu sich und ging aus dem Rahmen heraus. Doch ich ging mit jedem meiner Versuche immer mehr hinein.
Bis ich eines Tages hinter das Bild geraten bin.
Das war aber nicht die Rückseite des Gemäldes. Ich bin in eine andere Welt geraten — ganz anders als unsere und noch viel besser.
Im ersten Augenblick habe ich mich erschrocken. Ich sprach die Sprache dieser Welt nicht, ich kannte die Bräuche der Einwohner nicht, ich wusste nicht, wie ich hierher gekommen war und wie ich zurückkehren konnte. Doch die Menschen dort erwiesen sich als sehr freundlich und außerdem drückten sie ihre Gedanken mit wenigen Worten aus.
Sie malten gern und so verstanden sie sich untereinander viel besser, als wir mit unseren zahlreichen Sprachen.
Es verging viel Zeit, bevor ich begann, ihre Worte zu verstehen. Doch ich fühlte mich nicht einsam, weil ich wusste, dass es mein Land war, das Land, in das ich als Kind zu geraten träumte. Seine Bewohner waren herzlich und begabt und außerdem verstanden sie etwas von menschlichen Seelen…“
„War es das Land der Maler?“, unterbrach der Mathematiker ihn. „Vielleicht bist du dort hinein geraten, da du selbst ein Maler bist? Wahrscheinlich haben auch die Mathematiker ihr eigenes Land, wohin sie durch eine Gleichung gehen?“
„Nein, da wohnten Sonderlinge aus allen Berufen. Doch ich weiß, dass sie nicht zufällig dorthin geraten waren. In ihnen musste es etwas Besonderes geben, damit das Bild sie durchlassen konnte.“
„Was war das?“, rief der Mathematiker laut. „Vielleicht ihr Intellekt oder eine gute Ausbildung?“
„Ich denke, die Kriterien des Bildes hatten nichts mit der Ausbildung zu tun und ganz wenig mit dem Intellekt. Eher war es eine Offenheit der Welt gegenüber. Oder die Gabe, sich selbst zum Guten zu verändern.“
„Warum bin ich noch nicht in dieses Land geraten?“, ärgerte sich der Mathematiker. „Ich bin ein Mensch, der sich ständig zum Guten verändert. Ich löse immer schwierigere Aufgaben… Gestern habe ich zum Beispiel eine Gleichung gelöst, die mein Chef eine Woche lang nicht schaffen konnte.“
Der Maler schickte sich an, etwas zu sagen, doch dann gab er auf, lächelte und schüttelte einige Male seinen zerzausten Kopf. Zwischen den beiden Freunden trat ein peinliches Schweigen ein, das der Maler schließlich mit seinem Weitererzählen unterbrach:
„Beim Abschied war es für die Einwohner des Landes Tradition, die Fremden zu beschenken…“
„…und sie haben dir diese bunte Seele geschenkt!“, beendete der Mathematiker seinen Satz.
„Oh, nein“, lächelte der Maler, „das Geschenk war ganz anders…“
„Lüge mich nicht an!“, entgegnete der Mathematiker wütend. „Das war das Land der bunten Seelen, und seine Bewohner haben dir eine solche Seele geschenkt. Sag mir, wo sich dieses Bild befindet. Ich glaube, ich könnte auch hinter das Bild geraten!“
Doch sein Freund lächelte nur wieder und winkte ab.

Als der Maler schließlich starb, sah der Mathematiker es als seine erste Aufgabe an, sich auf die Suche nach dem Bild zu begeben. Er brauchte nicht lange zu suchen. Er fand es auf dem Dachboden, in einem Haufen vor vielen Jahren vergessener Gemälde.
Fieberhaft packte er es und nahm es mit nach Hause.
Seitdem verbrachte er seine Zeit mit Versuchen, in diese Welt einzudringen und den Preis zu erlangen, den der Maler auch bekommen hatte.
Endlich, nach Tausenden vergeblicher Versuche, schaffte er es, in die Spirale einzudringen und ihr Zentrum zu erreichen. Und sofort geriet er in das erträumte Land, obwohl er eigentlich schon zu alt war. Doch er war überzeugt: Selbst ein Tag mit bunter Seele ist der Mühe eines ganzen Lebens wert.
Alles geschah genau wie in der Geschichte seines Freundes. Die Einwohner empfingen ihn mit Freude und verwandelten seinen Aufenthalt in ein unvergessliches Erlebnis.
Und als die Zeit kam, dass er gehen musste, haben sie ihm ein Geschenk gemacht.
Sie beschenkten ihn mit der Gabe, alle seine Formeln auf dem Blatt auseinander laufen lassen zu können, wenn er die Gleichung gelöst hat.
Der Mathematiker war sehr enttäuscht wegen des unnützen Geschenkes und protestierte:
„Wieso habt ihr mir keine solche Seele wie dem Maler gegeben? Das ist das Land der bunten Seelen, nicht wahr?“
„Oh, nein!“, lächelte der Bürgermeister, der die Geschenke der Abreisenden aushändigte. „Die bunten Seelen werden von einer anderen Einrichtung ausgegeben.“
Und er streckte seinen Zeigefinger zum Himmel, um nicht falsch verstanden zu werden.


*Sollte jemand grammatische oder andere Fehler entdecken, mich bitte darüber sofort informieren! Ich wäre euch sehr dankbar dafür! Die Übersetzung aus dem Bulgarischen hat mich knapp 3 Wochen gekostet (also viel mehr als das Schreiben selbst *gg*)*

LG, hellymod


Zuletzt geändert von hellymod am So 7. Aug 2005, 12:13, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Do 4. Aug 2005, 02:03 


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BeitragVerfasst: Do 4. Aug 2005, 09:51 
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uhi,die is voll schoen <3
rief laut der Mathematiker --> rief der Mathematiker laut
passt da eher... *mal behaupt ;)
Aber sonst hab ich keine fehler oder sowas gefunden.
Aber das is voll schoen,wirklich,aber irgendwie auch..
enttaeuschend... gefaellt mir sehr!

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BeitragVerfasst: So 7. Aug 2005, 12:09 
Danke dir, Tarja. Es freut mich, wenn´s jemandem gefällt.
Den Fehler werde ich gleich verbessern :)

LG,
hellymod


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BeitragVerfasst: So 7. Aug 2005, 13:46 
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Mir hat die Geschichte auch ausgesprochen gut gefallen. Allerdings habe ich sie mehrmals gelesen - auf der Jagd nach Fehlern und weil die Formulierungen so reichhaltig sind, dass ich sie beim ersten Mal gar nicht alle aufnehmen konnte.

Enttäuschend ist es eigentlich auch nicht. Das wäre es gewesen, wenn es die bunten Seelen nur in diesem Land gäbe. Dann schon lieber da *nach oben zeig* wo jeder eine Chance darauf hat.

Aber nur gut, dass es nicht nur Maler- und Mathematikerseelen gibt, sondern auch all die Nuancen dazwischen.

:-k

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 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: So 7. Aug 2005, 17:15 
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hellymod hat geschrieben:
Danke dir, Tarja.


nichts zu danken :]

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